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Jane E. Walters
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Zu früh...
Gepostet am 11. März 2020 um 19:20 |
Sie gingen spazieren.
Der Himmel wurde langsam grau, es begann zu dämmern und die Sonne, die auch tagsüber kaum zum Vorschein gekommen war, verschwand nun endgültig hinter den Häuserfassaden. Ein kalter Wind wehte durch die Straßen; die ersten Laternen flackerten auf.
Schon eine ganze Weile gingen sie nebeneinander her. Plauderten, redeten, erzählten sich Geschichten, lenkten ihre Schritte ohne festes Ziel mal hierhin und mal dorthin.
Irgendwann hatte er wie beiläufig ihre Hand genommen, seine Finger mit den ihren verschränkt und sie dadurch ein Stückchen näher an sich gezogen. Sie war verwirrt gewesen, hatte verlegen gelächelt, als sie seinen Blick bemerkt hatte, und hatte es doch tunlichst vermieden, ihm in die Augen zu sehen.
Sie genoss das Gefühl von Wärme und Geborgenheit, genoss die Nähe, die Sicherheit und Zärtlichkeit, mit der seine große Hand die ihre umschloss und sie so durch die Gassen führte. Genoss auch den Anflug von Verwegenheit, der ihr seither folgte wie ein Schatten.
Gleichzeitig hielt etwas sie zurück, hinderte ihre Muskeln daran, sich zu entspannen, loszulassen und ganz in seine Hand zu sinken. Trotz aller Zuneigung und allen Vertrauens war da eine leise Stimme, die sie daran erinnerte, dass sie ihn erst wenige Tage kannte, dass sie es doch besser wissen sollte, dass es bis jetzt noch immer schief gegangen war, wenn sie sich zu früh auf etwas eingelassen hatte.
Und doch fühlte es sich so gut an, neben ihm her zu wandeln.
Sie bogen um die Ecke. Farbtupfen auf dem Grünstreifen zwischen Gehweg und Fahrbahn.
"Oh, sieh nur!"
"Krokusse", lächelte er.
"Es ist noch viel zu früh."
"Stimmt", nickte er.
Dass sie damit ihre Hände und nicht die blasslila Blüten im schwindenden Licht gemeint hatte, ging an ihm vorüber.
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